“Ich bin ein Sender. Ich strahle aus!”
Die Worte von Joseph Beuys mit denen er beschrieb, wie er seine Aussage über seine Kunst, gerade über die als “Antennen” fungierenden Multiples, in die Welt hinaustragen wollte und auch tat, kamen mir gestern wieder in den Sinn, jedoch in einem völlig anderen Kontext. Auf Twitter sind wir alle Sender, gleichberechtigt und an die gleichen Regeln gebunden. Jedoch sind wir dort auch Empfänger, oder sollten es zumindest sein.
Als ich meinen Twitteraccount angelegt habe, ging es mir erst einmal nur darum gewisse Aussagen zu senden, die ich loswerden musste, aber für niemanden wirklich bestimmt waren. Diese sollten sich einfach irgendwo im Äther verlieren. Ich folgte zwar ein paar Leuten, die ich schon vorher persönlich kannte, aber ich las nicht oft. Das änderte sich nach einer Weile, als ich festzustellen begann, dass ich auf Twitter mich mit Leuten mit gleichen Interessen konkret austauschen und interagieren konnte, ich war nun Sender und Empfänger. Und die Signale waren klar und von einer Qualität und Anzahl, mit der ich nicht nur gut umgehen konnte, sondern die mein Leben bereicherten, bis hin zu dem Punkt, dass ich durch diese Interaktionen viele tolle neue Leute kennengelernt habe.
Ich weiß aber auch von mir selber, dass ich ein Empfänger bin, meine Antenne ist immer ausgefahren, ob ich nun ins Theater gehe, Kunst in Museen oder Galerien betrachte oder einfach Leuten gerne zuhöre. Ich bin immer offen für neue Informationen und Reize, ja für sehr, sehr viele Arten von Signalen. Und hier ist Twitter für mich in letzter Zeit problematisch geworden. Nicht nur habe ich das Gefühl, dass einige der von mir geschätzten Sender-Empfänger weniger bis gar nicht senden und auch empfangen, ich empfinde es so, dass dafür andere fast nur noch senden, ohne zu empfangen, und zwar Signale, die ich empfange, aber deren Qualität ich einfach nicht vertragen kann. Sei es nun Süffisanz, Schärfe oder Lautstärke, viele suchen nicht mehr Dialog und Interaktion, sondern nur noch Aufmerksamkeit und Deutungshoheit. Und in einer Twittertimeline ist jeder Tweet als Signal nun einmal gleich stark. Aber ich wenn ich versuche, irgendwelche Informationen zu einem bestimmten Thema zu verarbeiten, brauche ich Signal und zwar so, dass es das Rauschen übertönt. Wie Tilman es so schön sagte:
Ich bin nunmal Physiker und unser Ansatz ist immer, Rausch- oder Störquellen zu eliminieren, um das Signal zu erhalten, das wir zu verstehen oder zumindest zu beschreiben versuchen. Vielleicht ist es eine Qualität von Twitter, dass es soviele gleichberechtige Sender gibt, die die Komplexität unserer Welt in Gänze abbilden, aber andererseits glaube ich auch, dass wir noch nicht bereit sind, diese Komplexität so zu verarbeiten, zumindest ich bin das nicht.
Jeder darf senden, was er will, dass ist die schätzenswerte Demokratie in diesem sozialen Medium Twitter, aber ich bemerke, dass ich mittlerweile nicht mehr die Filter oder die Verarbeitungsgeschwindigkeit besitze, um dieser über mich hereinbrechenden Informationssintflut, diesem Signalgewitter, für mich selber beizukommen. Und ich werde apathisch oder gar zynisch gegenüber Themen, die mir eigentlich wichtig sind und zu denen ich einen eigenen Standpunkt entwickeln möchte, der meinen Ansprüchen an mich selber genügt. Und das kann es einfach nicht sein, zumal sich obendrein noch die Empörungszyklen verkleinern. Das, was Twitter für mich so wertvoll gemacht hat, ist von einem donnernden Rauschen umtöst. Und es macht mich müde, nach Signal zu suchen, ich muss ein bisschen Abstand gewinnen. Momentan geht es mir mit Twitter in großen Teilen so:
Ich weiß wohl, welche Möglichkeiten gibt, diese Filter aufzubauen, seien Listen, sei es eine kleinere Timeline, sei es Muten, aber auch das erfordert eine gewisse Mühe, bis das geschafft ist. Und momentan fehlt mir ein bisschen der Wille und wohl auch die Kraft und daher fahre ich meine Twitterantenne erst einmal fast komplett ein und der King singt bis dahin sein Lied für mich:
“Return to Sender: Address Unknown …”
Schade. Irgendwann sind dann leider nur noch die Lautsprecher mit Unfehlbarkeitsanspruch übrig.
Ich möchte das nicht akzeptieren. Aber mit Elvis hast du mich natürlich. (Und schöner als Lisi kann man es nicht sagen.)
Mir geht es ganz ähnlich wie Dir. Ein paar Jahre lang gehörte Tweetdeck zu den ersten Anwendungen, die ich öffnete, wenn ich morgens ins Büro kam. Ich hatte immer auf Auge auf die Timeline, war selbst recht aktiv. Mit der Zeit stellte ich dann aber fest, dass mehr und mehr Tweets mich ärgern, teilweise auch echt aufregen; du hast es sehr schön formuliert. Irgendwann öffnete ich das Twitter-Programm dann nicht mehr und schaue seitdem nur noch gelegentlich mal auf die Twitter-Webseite um sporadisch Neuigkeiten aufzunehmen. Aber “meine Community” ist es (vielleicht nur im Moment) auch nicht mehr. Ich wünsche Dir alles Gute, habe immer ausgesprochen gerne von Dir gelesen.
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Ich muss gestehen, mir geht es ganz ähnlich. Vor Weihnachten bestand meine Timeline nur noch aus Gemeckere, totgetrampelten Insiderwitzen und ewig langen Debatten, die man auf Twitter kaum nachverfolgen kann. Der geistige Input, für den ich Twitter einst so schätzte, wurde geringer, was vielleicht auch daran liegt, dass ich keine Lust mehr habe, so viel Zeit in das Medium zu investieren, wie ich es in der Vergangenheit bereits getan habe.
Ich habe dann meine Timeline radikal umgestellt, von Interaktion hin zu Information. Bei mir laufen jetzt fast nur noch News und Links von Sportseiten durch die Timeline. Das hat meine Nutzung von Twitter radikal verändert, weg vom sozialen Netzwerk hin zum Newsfeed. Leider hatte ich aber das Gefühl, dass mich die alte Nutzart nicht weiter bringt und auch ein Stück weit an der Lebensqualität nagt – wer regt sich schon gerne auf. Ich kann daher die Gedankengänge im Post völlig nachvollziehen, auch wenn ich statt Twitterpause eine andere Lösung gewählt habe.