Die Wucht des Gekreuzigten: Antonio Sauras “Crucifixión (Triptychon)” in der Pinakothek der Moderne

An einem Sonntag im Februar war ich eigentlich in die Pinakothek der Moderne gegangen, um mir den Saal 13 anzuschauen; dort wird zum ersten Mal der Schritt gewagt hat, die regimegetreue NS-Kunst zusammen mit entarteter Kunst gegenübergestellt im zeitlichen Kontext der Dauerausstellung zu präsentieren. Ich strich vorher also durch die Säle 1-12, um der künstlicherischen Zeitline bis 1933 nachzuspüren, bevor ich den Saal betrat. Ohne jetzt genauer darauf einzugehen, fand ich den Saal schlussendlich unbefriedigend, da er sich nicht intensiv genug mit der Thematik auseinandersetzen kann, weil ein Saal einfach zu wenig ist, um die Inkonsistenz der NS-Kunstpolitik oder die biedere bürgerliche Natur vieler regimegetreuen Werke erschöpfend und umfassend aufzuzeigen. Der Saal kann also nur ein erster Schritt sein, um diese wichtige Auseinandersetzung auch im musealen Kontext zu führen. Um diese Gedanken zusammenzufassen und an Anke zu schreiben, die sich hier auch schon mal mit Saal 13 auseinandergesetzt hat, ging ich zügig in den nächsten Saal mit einer freien Bank, der sich als Saal 16 herausstellte. Ohne Umschweife tippte ich meine Nachricht an Anke ins Handy, schickte ab, steckte das Handy weg und blickte auf:

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Ich war wie vom Schlag getroffen. Welche Wucht sprang mich da an? Wer war da ans Kreuz genagelt? Wer versetzte mir diesen Stich ins Herz?

Mit der spanischen Nachkriegskunst hatte ich mich schon etwas auseinandergesetzt, nicht zuletzt da im Wohnzimmer meines Elternhauses immer eine Lithographie von Antoni Tàpies hing, die sie in den 70er Jahren beim Kunstverein Bonn erstanden hatten. So hatte ich mir auch 2010 bei meinem Besuch in Barcelona die Fundaciò Antoni Tàpies ausführlich angeschaut und in anderen Museen immer wieder zu meiner Freude Werke von ihm entdeckt. Im Zuge einer meiner vielen Diskussionen mit meinem guten Künstlerfreund Michael kamen wir natürlich auch einmal auf Tàpies zu sprechen und er sprach zu mir davon, dass Tàpies und für ihn viel mehr noch Antonio Saura zu Unrecht unterschätzt würden. So hatte ich also auch angefangen, nach Sauras Werken Ausschau zu halten und war zuletzt im Oktober 2016 im Museo Reina Sofia in Madrid auf zwei seiner Frauenbilder gestoßen, und mir im dortigen Museumsbuchladen den Katalog seiner Retrospektive in Bern bzw. Wiesbaden 2012/13 für schlappe 18 Euro mitgenommen.

Ich erkannte ihn sofort wieder. Wie kein Zweiter kann er in Schwarz-Weiß und Grautönen kraft seines Pinselstriches so eine Dynamik erzeugen. Der Schmerz, das Leiden springen einen förmlich an. Wie der Kopf hervorschießt und aus dem Bild zu stoßen scheint. Ich saß mehrere Minuten lang schweigend auf der Bank und starrte “Crucifixión (Triptychon)” von 1959 an, die Gedanken zu Saal 13 wie von einem furiosen Streich weggewischt.

Zwei Monate strichen ins Land und als ich anlässlich des Karfreitags Mitte April ein Bild von Rogier van der Weydens “Kreuzigung” von 1457-1464, das ich im Palast El Escorial gesehen hatte, twitterte, antwortete ein guter Freund von mir mit einem Bild von Francis Bacon, und sofort schoß mir wieder Sauras Triptychon in den Kopf.

Es ging auch nicht wieder weg. Und so ging ich am Ostersonntag abermals in die Pinakothek der Moderne, einfach nur, weil ich mich wieder davor niederlassen und es betrachten wollte. Ich hatte im Katalog der Retrospektive und auf der Website der Pinakothek etwas mehr zum diesem Bild bzw. weiteren Kreuzigungsbildern aus Sauras Œuvre gelesen; der vom Franco-Regime politisch verfolgte Künstler reflektierte in diesen Werken nicht nur mit der kunstgeschichtliche Traditon der Kreuzigungsdarstellungen – er erwähnt z.B. “Cristo crucificado” von Diego Velázquez, das er als Kind im Prado gesehen hatte – sondern auch seine eigene, politisch prekäre Situation in den 50er Jahren.  Und plötzlich fiel mir etwas auf, was mir beim letzten Mal noch in der ganzen Wucht entgangen war: der Abdruck seiner Hand links. Und der Abdruck seines Fußes in der Mitte. Sehr viel deutlicher kann man den persönlichen Bezug gar nicht herstellen, auch der Kopf spiegelt seinen eigenen Gesichtszüge wider.

Überhaupt, die Hände. Die rechte Hand des Gekreuzigten links im Bild, der Abdruck, hinter dem ein hellgrauer länglicher Farbfleck förmlich explodiert, als wäre sie gerade erst an das weiße Kreuz auf dem ruhigen schwarzem Grund gedrückt worden, vielleicht von dem grauen Greifen rechts daneben am Arm. Die andere Hand jedoch, rechts im Bild, bereits grotesk geschwollen, mit einem explodieren schwarzen Stigma in der Mitte. Diese Hand, die mit dem Kopf zusammen vorschnellt und das Kreuz aus der Leinwand rausreißen möchte, als ob der Gekreuzigte aus dem Bild und vor seinem Schicksal noch entfliehen könnte. Immer wieder diese Dynamik, immer wieder diese Wucht.

Nun stand ich gestern bereits ein drittes Mal in ebensovielen Monaten vor dem Werk und kam wieder nicht davon los.

Es ist eine – meine – Museumsperle. Wobei definitiv diese mich gefischt hat, und nicht ich sie.

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30-Day Music Challenge: Days 21-30

Ich weiß nicht mehr genau, wer mir die #30daymusicchallenge als erstes in die Twitter-Timeline gespült hat, aber jedenfalls hatten schon einige geschätzte Twitterer damit begonnen, als ich mich entschloß, auch daran teilzunehmen. Hier ist die Zusammenfassung der letzten 10 Tage.

Day 21: A favorite song with a person’s name in the title

 

 

Christoph & Lollo – Funaki

“Er ist sorgsam frisiert, er ist fromm und gepflegt, er hat nie masturbiert oder Unmut erregt, seine Schönheit ist umwerfend, stolz ist sein Blick, niemand streitet mit ihm
jeder findet ihn schick.” Wohl das beste der Skispringerlieder von Christoph & Lollo und zurecht legendär und viele Jahre lang der Closer eines jeden Auftritts der beiden.

Day 22: A song that moves you forward

 

Gloryhammer – Rise of the Chaos Wizards

Heroisches Fantasy Power Metal geht immer nach vorne. Und Gloryhammer geht voran. Seit ich sie auf dem Full Metal Mountain 2016 live gesehen habe, liebe ich ihre Überzeugung und ihr Augenzwinkern, mit dem sie ihr Ding durchziehen. All hail the mighty Gloryhammer!


Day 23: A song that you think everybody should listen to

Redd Kross -Jimmy’s Fantasy

Ja, wieder Redd Kross. Das ist der Opener von “Phaseshifter”. Den habe ich immer wieder rauf und runter gehört. Und das solltet ihr auch tun. Bonus: Im Video spielt der junge Jason Lee (“My Name is Earl”) den Protagonisten Jimmy.


Day 24: A song by a band that you wish were still together

Blumentopf – 6 Meter 90

Ich war 15 oder 16 Jahre alt, als mich mein älterer Cousin, der schon in der Kollegstufe war und bei dem ich an dem Wochenende übernachtete, zu einer Party im JUZ im Unterschleißheim mitnahm, wo zwei Bands von Mitschülern spielten. Die Punkband “Die Elche”, von der jeder etwas großes erwartete, zumal sie schon einmal den 2. Platz bei einem Bandwettbewerb in München belegt hatten, und “Da Blumentopf”. Es gab nur zwei Mikros für die damals 5 MCs (Caramelo rappte noch auf Spanisch mit) und sie wurden fleißig herumgereicht. Da Blumentopf und Die Elche spielten sogar zwei Lieder zusammen. Letztes Jahr hat der Topf sein Abschiedskonzert vor 7000 Leuten im Zenith gespielt. Die Elche waren da schon lange wieder in der Versenkung verschwunden.


Day 25: A song by an artist no longer living

Woody Guthrie – I Ain’t Got No Home

This choice kills fascists. Obwohl er mir immer irgendwie bewusst war, bin ich eigentlich erst durch Billy Bragg und Wilco und ihre “Mermaid Avenue”-Alben so richtig an den großen und wichtigen amerikanischen Folksänger Woody Guthrie hingeführt worden. Seitdem besticht seine Relevanz und seine politische Konsequenz immer und immer wieder, gerade in diesen Tagen. Woody, you got a home in my heart, forever.


Day 26: A song that makes you want to fall in love

Redd Kross – Bubblegum Factory

Ja, ich möchte mit euch die Kaugummifabrik besuchen und wissen, wo die Liebe hergestellt wird. Der dritte und abschließende Auftritt meiner Lieblinge Redd Kross zeigt ihre poppige und durchaus pathosgetränkte Seite. Aber wer harmonisieren kann wie die Beatles und die Beach Boys, der kann es auch bedingen, dass einen einer ihrer Songs verliebt machen möchte.


Day 27: A song that breaks your heart

Joe Pug – Call It What You Will

Joe Pug habe ich damals im Troubadour in West Hollywood zum ersten Mal gesehen, als seine Gitarre und er den Abend für das Konzert von James Hunter eröffnete. Er war damals erst Anfang 20 und sang mit solch einem Tiefgang, dass ich mich fühlte, als hätte mich der Schlag getroffen. Wunderbares Songwriting, das im letzten Jahrzehnt immer mehr gereift ist. Dennoch ist “Call It What You Will” von seiner Debüt-EP “Nation of Heat”, die ich mir damals am Merchstand kaufte, schon ein Lied, was mir immer einen tiefen Stich ins Herz versetzt. “Call it what you will, I’m heartbroken still, but words are just words.”


Day 28: A song by an artist with a voice that you love

My Brightest Diamond – Dragonfly

Ich weiß gar nicht mehr genau, wann ich über Shara Worden (jetzt: Shara Nova) und ihr Projekt My Brightest Diamond gestolpert bin, aber ich war von ihrer Stimme sofort hin und weg, und bin damals von Santa Barbara wieder mal nach West Hollywood gefahren, um sie mir dort live anzusehen. Was für ein wundervolles Konzert einer intelligenten und humorvollen Frau. Sie hatte sich im Vorfeld den Knöchel verknackst und humpelte mit Verband über die Bühne, aber ihre Ausstrahlung war enorm und die ausgebildete Opernsängerin sang sich in mein Herz. Da ist sie bis heute.


Day 29: A song that you remember from your childhood

Trio – Da Da Da

Dürfte in der ZDF-Hitparade gewesen sein. Aber “Da Da Da” war auch so ein Lied, was man als Kind schon gut finden konnte, und die Typen dazu waren ja irgendwie lustig. Also erinnere ich mich immer gerne daran zurück.


Day 30: A song that reminds you of yourself

Billy Bragg – The Milkman of Human Kindness

“I am the milkman of human kindess, I will leave an extra pint.”

30-Day Music Challenge: Days 11-20

Ich weiß nicht mehr genau, wer mir die #30daymusicchallenge als erstes in die Twitter-Timeline gespült hat, aber jedenfalls hatten schon einige geschätzte Twitterer damit begonnen, als ich mich entschloß, auch daran teilzunehmen. Hier ist die Zusammenfassung der zweiten 10 Tage.

Day 11:  A song that you never get tired of

Lagwagon – Kids Don’t Like To Share

Everything slower than everything else. Lagwagon gehen immer. Direkt aus Isla Vista, CA. Goleta Punks. Aus der Gegend, wo ich selbst gute sechs Jahre gelebt habe. Ihre Mischung aus Humor und Ernsthaftigkeit ist einfach klasse. Eigentlich hätte ich hier das ganze “Hoss”-Album posten wollen, das kann ich immer rauf und runter hören. Aber so sei nun hier der Opener stellvertretend dafür gewürdigt.


Day 12: A song from your preteen years

 George Harrison – Got My Mind Set On You

Das war so ein richtiger Ohrwurm für mich damals so 1987 bzw. 1988 rum. Den musste ich haben, und zwar das ganze Album. Also bin ich in die Musikabteilung vom Müller im Schwabencenter in Augsburg, um mir die Kaufkassette von “Cloud Nine” zu besorgen. War nicht da. Also habe ich mir die erste eigene Vinyl meines Lebens gekauft. I had my mind set on it.


Day 13: One of your favorite 70s songs

Deep Purple – Child in Time

Episch. Schön. Virtuos. Dieser Song hat einfach alles. Deep Purple war mein drittes Konzert damals 1993 auf der Tour anlässlich ihres 25-jährigen Jubiläums im Original-Mark-II-Lineup. Das Shirt habe ich immer noch. The battle rages on, wait for the ricochet.


Dav 14: A song that you would love to be played at your wedding

The Damned – Love Song

“I’ll be the rubbish, you’ll be the bin. I’ll be the paint on the sign, if you’ll be the tin. Just for you, here’s a love song.” Es muss ja nicht immer vor Schmalz triefen, um von ganzem Herzen zu kommen. “It’ll be a lovely day and that’s okay.”


Dav 15: A song that is a cover by another artist

Redd Kross – Yesterday Once More

Und nun die zweite Band von Brüdern aus Hawthorne, CA. Seit ich damals Redd Kross als Vorband der Stone Temple Pilots 1994 im Terminal 1 in Riem gesehen hatte, war ich hin und weg. Eine meiner absoluten Lieblingsbands, die Punk-Powerpop-Alternative-Protogrunge-Veteranen. Das “Phaseshifter”-Album habe ich damals rauf und runter gehört. Dann waren sie auf dem Sampler “If I Were A Carpenter” mit dem wundervollen Carpenters-Cover “Yesterday Once More” vertreten. Was habe ich es gefeiert, sie 2007 nach ihrer neunjährigen Pause im Fonda Theater in Hollywood live wiederzusehen. Und ich bin mit Freuden 2012 extra nach Berlin, um ihr einziges Deutschlandkonzert der Tour zu sehen. Gerne wieder immer. They’re back again just like a long lost friend, all the songs I loved so well.


Day 16: One of your favorite classical songs

Franz Schubert – op. 142 D 935 Impromptu No. 2

Meine Mutter hat dieses Stück in  für sich selber auf dem Klaiver einstudiert, weil ihr Vater dieses früher immer gespielt hat. Ich habe meinen Opa nie kennengelernt, weil er allzufrüh verstarb, aber ich kenne dieses wundervolle Klavierstück, was ich dann auch immer irgendwie mit ihm verbinde. Was für eine freudige Überraschung, als neulich Radu Lupu seine wunderbar zarte, sanfte Interpretation auf seinem Konzert im Herkulessaal als Zugabe gab.


Day 17: A song that you would sing a duet with on karaoke

Mark Knopfler – Sailing to Philadelphia

Das Album “Sailing to Philadelphia” ist eh ein klasse Album vom Mark Knopfler. Aber das gleichnamige Duett mit James Taylor über Mason & Dixon, die im 18. Jahrhundert die südliche Grenze von Pennsylvania vermessen haben und damit die berühmt-berüchtigte Mason-Dixon-Line zogen, hat für mich auch immer eine persönliche Bedeutung, da ich ja 1998 zum Studieren nach Philadelphia ging. Außerdem kann man Mark-Knopfler-Lieder gut Karaoke singen, auch wenn man nicht singen kann; man muss ja nur ein bisschen ins Mikro nuscheln.


Day 18: A song from the year that you were born

The Ramones – I Wanna Be Sedated

Als ich mir Gedanken über dieses Thema machte, hatte ich schon schlimme Befürchtungen, da es ja die große Diskozeit war, sie hatten ihren Surfboards und gingen in die Diskothek. Aber manche Leute konnte nicht bleiben, sie mussten sich losreißen. So wie Sheena. 1, 2, 3, 4 …


Day 19: A song that makes you think about life

Ian Fisher – Invisible Cities

Meine allererste Begegnung im Ian Fisher war im Residenztheater. Er hatte die Musik der Shakespeare-Inszenierung “Was ihr Wollt” zu verantworten und spielte mit seiner Gitarre die Rolle des Narren. Und ich lernte seine Musik sehr zu schätzen, die ein bisschen Rock, ein bisschen Folk, ein bisschen Country, aber vor allem viel Tiefgang ist. Seitdem habe ich ihn zweimal live gesehen und höre seine Lieder immer wieder. Und gerade “Invisible Cities” lädt mich immer wieder dazu ein, die Gedanken schweifen zu lassen.


Day 20: A song that has many meanings to you

New Model Army – Green and Grey

New Model Army ist so eine Band, die mich meine frühen und mittleren Teenagerjahre begleitet hat. Das Album “Thunder and Consolation” habe ich rauf und runter gehört. “Green and Grey” hat mich mit seinem Konflikt zwischen ländlicher Jugend und städtischer Erwachsenheit, dem Thema des Weggehens und Nicht-Wiederkehrens und der Melancholie immer wieder auf verschiedene Arten berührt, ob in dunklen oder hellen Zeiten. Und ich verbinde es auch mit einer Autofahrt von Malaga nach Granada durch die Sierra Nevada, als ich auf dem Rücksitz saß und meine Walkman auf Dauerschleife New Model Army spielte, während ich aus dem Fenster auf die Landschaft starrte.

30-Day Music Challenge: Days 1-10

Ich weiß nicht mehr genau, wer mir die #30daymusicchallenge als erstes in die Twitter-Timeline gespült hat, aber jedenfalls hatten schon einige geschätzte Twitterer damit begonnen, als ich mich entschloß, auch daran teilzunehmen. Hier ist die Zusammenfassung der ersten 10 Tage.

Day 1: A song you like with a color in the title

 

 

 

 

 

 Roxanne de Bastion – Red and White Blood Cells

Seit ich Roxanne anno 2013 mal bei einem Wohnzimmerkonzert in München live erlebt habe, mag ich ihre Musik und sie sehr; so sehr, dass ich im Jahr drauf eines ihrer Wohnzimmerkonzerte bei mir zuhause ausgerichtet habe. Tolle Singer-Songwriterin, die einen mit ihrer positiven Einstellung, Unabhängigkeit und Intelligenz ansteckt.


Day 2: A song you like with a number in the title

Bad Religion – 1000 More Fools

Bad Religion ist DIE Punk Band meiner Teenagerjahre und daher schoß mir bei dem Thema direkt wieder die Erkenntnis  in den Sinn: “1000 more fools are being boooorn, every fucking day!”.


Day 3: A song that reminds you of summertime

 

 

 

 

 

 

 

The Beach Boys – Surfin’ USA

Die erste Band von Brüdern aus Hawthorne, CA, die in dieser Liste auftaucht, hat den Surfsound und damit auch den Sommersound der 60er Jahre geprägt und ist in dieser Kategorie somit eindeutig, gerade für mich als adoptierten Santa Barbarian. Wenn doch nur jeder einen Ozean hätte, überall in den USA.


Day 4: A song that reminds you of someone you’d rather forget

 

 

 

 

 

 

Alan & Denise – Rummenigge

Hau ab, Kalle! Ernsthaft. Keine Lust mehr auf deinen Egotrip und deine Großmannssucht beim FC Bayern.


Day 5: A song that needs to be played loud

 

 

 

 

Motörhead – Ace of Spades

Everything louder than everything else. Und davon das bekannteste Lied. Rest in Peace, Lemmy.


Day 6: A song that makes you dance

 

 

 

Rednex – Cotton Eye Joe

Durfte auf keiner Party fehlen, als ich 16 war, und bringt mich unweigerlich und jederzeit immer zum Tanzen. If only it hadn’t been for Cotton Eye Joe.


Day 7: A song to drive to

Busta Rhymes – Turn it Up/Fire it Up (Remix)

Busta Rhymes. Whoohah! Der Remix war als Singleauskopplung besser als das Original, v.a. auch deswegen weil er als Sample/Beat die Titelmelodie von “Knight Rider” verwendet hat. Und wer stellt sich nicht gerne vor, als säße er gerade in K.I.T.T., wenn er am Steuer seines 75-PS-Golf sitzt?


Day 8: A song about drugs or alcohol

The Pogues – Streams of Whiskey

Last night as I slept, I dreamt I met with Behan … welche Band könnte mehr zum Thema passen als die Pogues mit ihrem Sänger Shane MacGowan? Und man möchte mit ihnen durch die Welt driften, wohin der Wind einen bläst, aber v.a. dorthin, wo Ströme von Whiskey fließen.


Day 9: A song that makes you happy

 

 

Dire Straits – Walk of Life

Ich halte es für schlicht unmöglich, diesen Song zu hören und danach nicht gut gelaunt zu sein. Bei mir geht es schon los, sobald das Keyboard am Anfang ertönt. Woohoo.


Day 10: A song that makes you sad

 

Dead Can Dance – The Wind that shakes The Barley

Damals, 1994, als MTV noch hauptsächlich Musik gezeigt hat, sah ich das Unplugged mit Dead Can Dance und war verzaubert von ihrer Musik, aber v.a. von Lisa Gerrards Stimme. Und ihr a cappella gesungenes Traditional “The Wind that shakes the Barley” hat sich direkt in mein Herz gebohrt. Wie sagte ein irischer Freund mal zu mir: “That’s Irish Soul Music.” I

O Mnemosyne, ver(b)lass uns nicht!

“Sanity is a full-time job, in a world that is always changing.”

“Questions arose. Like, what in the fuck was going on here, basically?”

„Jedes Ding hat drei Seiten, eine positive, eine negative und eine komische.“

Wir leben in Zeiten des Aufbruchs. Gewissheiten brechen auf. Grenzen brechen auf. Menschen brechen auf. Und wir sind damit überfordert. Wo ankern wir in dieser überall verknüpften, ständig fließenden Welt? Wir verlieren uns in Details, wollen diese greifbar machen, verallgemeinern, werden der Komplexität nicht im geringsten gerecht, gaukeln uns Verständnis und Bewältigung vor. Wenn wir das überhaupt selbst tun. Das unselbstständige Ich rotiert um die eigene Achse, lässt sich von äußeren lauten, vermeintlich klaren Stimmen leiten. Schwarz-Weiß statt Grauschatten. Dogmen statt Differenzierung. Und wir versumpfen in Grabenkämpfen in den neuen und den alten Netzwerken, den sozialen und asozialen.

„Wir leben in einer Zeit der einfachen Antworten. Was nicht in einen Hauptsatz passt, überfordert. Was sich nicht mit einem Ausrufungszeichen versehen lässt oder ebensogut mit einem Emoticon ausgedrückt werden könnte, ist verdächtig. Wo die Fundamentalismen den Ton angeben, gibt es nur noch Freund oder Feind, Like oder Dislike. Wo Meinungen produ­ziert werden statt Argumente, bleibt wenig Platz zum Nachdenken.“

Wir leben in einer Zeit, in der uns mehr Information als jemals zuvor in der Menschheitsgeschichte frei, öffentlich und demokratisch zugänglich ist; aber wir können immer weniger damit umgehen. Das stellt auch gemeinsame Chiffren oder Bilder, anders gesagt, unser kollektives Gedächtnis in Frage. Und wenn unser kollektives Gedächtnis in Frage steht, stehen damit nicht auch die Werte, die unsere gemeingesellschaftliche Basis unterfüttern, und gesellschaftliche Solidarität in Frage?

“And the more chaotic the times, the greater the demand for these absolutes.”

Unsere Aufmerksamkeitsspanne wird immer kürzer. Symbole sind unsere Placebos. Tiefergehendes Verständnis oder Handeln wird für leere Gesten geopfert, echte Konsequenzen werden nicht nachverfolgt. Und wir sind überrascht, wenn Handlungen dann doch Konsequenzen haben, die wir vorher nicht begriffen hatten. Wir überlassen uns vermeintlich Starken, die uns Antworten diktieren, die wir nicht selber finden können. Und der vermeintlich Schwache lässt sich von genau den Leuten verarschen und vereinnahmen, die ihn erst schwach gemacht haben.

„Jede Jugend ist die dümmste, die es je gegeben hat. Alle älteren Generationen, ihre glattrasierten Väter und die bärtigen großväterlichen Onkel die schuldigsten. Die Schuldigen fürchten sich vor den Dummen.“

“The Trouble with many of us is that at the earlier stages of our life we think we know everything – or, to put it more usefully, we are often unaware of the scope and structure of our ignorance. Ignorance is not just a blank space on a person’s mental map. It has contours and coherence, and for all I know rules of operation as well.”

Die Verantwortung der intellektuellen Eliten, unsere Verantwortung, in Zeiten der Krise darf nicht geleugnet werden; obwohl, eigentlich besteht diese Verantwortung immer, ob Krise oder nicht. Auch hier lässt Selbstzentrierung den Blick für die großen Notwendigkeiten verlieren. Es ist unser Versagen, das Versagen der Eliten. Können wir Ignoranz entgegentreten, ohne uns dabei ständig der eigenen Überlegenheit versichern zu müssen? Ohne paternalistisch intellektuellen Kolonialismus auszuüben? Lässt sich Empathie für Empathielosigkeit aufbringen? Wie übernimmt man Verantwortung in Zeiten der Verantwortungslosigkeit?

“The masses of humanity have always had to suffer”

„Ich fürchte mich vor der Schande, auf dieser Welt glücklich zu sein.“

Wir könnten solidarisch sein. Wir könnten helfen. Wir könnten gerecht sein. Wir könnten teilen. Aber das sehen wir nicht bei unserer Nabelschau. Tausende Reflektionen unserer selbst, die wir für andere halten. Denen wollen wir helfen und gerecht werden und sind doch es doch nur uns selbst gegenüber. Ungleich und unglücklich taumeln wir dahin.

„Art belongs to everybody and to nobody. Art belongs to all time and no time. Art belongs to those how create it and to those who savour it. Art no more belongs to the People and the Party than it once belonged to the aristocracy and the patron. Art is the whisper of history, heard above the noise of time. Art does not exist for art’s sake; it exists for people’s sake.“

„Kunst ist was für die Massen, denen man sie aber nicht erklären kann. Kunst ist prinzipiell unerklärlich. Nur zwei, drei Leute verstehen sie. Sie ist ein Phänomen, sie ist sichtlos, sinnlos, nutzlos.“

„Kunst um der Kunst willen wird schließlich steril und verliert jede sittigende Kraft, verliert alles gesellschaftlich Befruchtende.“

Kunst dreht sich nicht um sich selbst. Sonst ist sie leer. Kunst, die nicht politisch sein will, ist nicht unpolitisch. Sie ist reaktionär. Kunst kann Erkenntnis gebären, sie speist sich aus dem kollektiven Gedächtnis. Sonst ist sie sinnlos. Da liegt die Verantwortung des Künstlers in der Gesellschaft. Wir leben nicht im Vakuum. Der Künstler nährt sich aus der gesamten Kunstgeschichte, nein, der ganzen Menschheitsgeschichte, aus der Vergangenheit und aus der Gegenwart. Er nährt sich aus allem geschafften Wissen, allen Wissenschaften. Damit schafft der Künstler vielleicht ein Stück Zukunft. Sind wir uns dessen nicht bewusst, sind wir in Gefahr. Nichts Neues unter der Sonne, doch unendliche Möglichkeiten, das zeigt uns die Kunst.

“To have humanism we must first be convinced of our humanity. As we move further into decadence this becomes more difficult.”

„Fremd ist der Fremde nur in der Fremde.“

Da ist auch die Hilflosigkeit, die Machtlosigkeit, aus Beobachtungen und Erkenntnissen etwas Proaktives oder Positives entstehen zu lassen. Wir landen so leicht bei Kulturpessimismus, Zynismus oder einem dauerhaften Zustand des Achselzuckens, der Gleichgültigkeit. Wir sollten sie wachrütteln, so dass Sinn und Geist wieder benutzt werden. Warum fragen wir uns nicht mehr? Wie schaffen wir eine Gesellschaft mit Raum für Zeit und Neugier? Wer fragt und hinterfragt, findet seine Antworten. Wer offen ist für Neues und Fremdes, wird nicht verhärten. Dann ist das Neue nicht mehr neu, und das Fremde nicht mehr fremd. Es ist uns vertraut. Es ist schwer, einen offenen Geist und ein offenes Herz zu verschließen. Wir schaffen das.

„Wer sich dem Sog fremder Phantasie nie ausge­setzt hat, kann sehr schwer eigene entwi­ckeln; kann Bedro­hungen und Zwänge der wirk­li­chen Welt kaum Aktivität entge­gen­setzen, nicht einmal Toleranz. Denn der, der Muße nicht kennen­ge­lernt hat, bleibt ohne Initia­tive. Der Mensch, der nicht träumt, wird wahn­sinnig. Eine Gesell­schaft, die den Traum wegfil­tert, ist anfällig dem Wahn. […] Intel­lek­tu­eller Trägheit entspricht schnell mora­li­sche Leere. Sie ist auffüllbar zum Beispiel mit poli­ti­schem Chaos.“

„Saubande, dreckerte.“

Wir benutzen Filter, die wir zwischen Realität und Augen, Hirn und Herz schieben. Uns zählt nur noch die Reproduktion des Moments und die sofortige Verbreitung und Vervielfältigung anstatt der bewussten Erfahrung bzw. Wahrnehmung des Moments mit allen ursprünglichen Sinnen. Verarbeitung findet nicht mehr statt. Uns zählt nur noch die Bestätigung, das Häkchen, dass der Moment stattgefunden hat. Von der Inszenierung des Moments ganz zu schweigen. Keine Reproduktion und Vervielfältigung kann die Aura des Originals besiegen. Wir müssen uns überwältigen lassen.

“Another day, I know they say,
that all the world’s a stage.
I’ll play the fool, but as a rule,
I’d rather act my age.”

“It’s not where you take things from – it’s where you take them to.”

Wir können sehr einfach in filmischer und fotografischer Form reproduzieren, wir können viel leichter inszenieren. Wir führen Regie, indem wir Unmengen von Material reduzieren. Einst erforderte das von uns eine bewusste und wohlüberlegte Entscheidung aufgrund von Einschränkungen; das Foto oder der Film mussten sitzen, wir hatten erst Gewissheit, als es zu spät für eine zweite Chance war. Freilich haben wir Reisende in Raum und Zeit uns und unsere Berichte schon immer inszeniert, aber durch die Demokratisierung des Reisens und der Einfachheit der Wiedergabe ist eine Überladung erschaffen worden, die wir zu bewältigen lernen müssen.

„Fußball ist besser als Anarchie.“

“The Germans are disputing it. Hegel is arguing that the reality is merely an a priori adjunct of non-naturalistic ethics, Kant via the categorical imperative is holding that ontologically it exists only in the imagination, and Marx is claiming it was offside.”

Wir brauchen Brot und Spiele. Unser Es muss seinen Auslauf bekommen, die Emotionen explodieren dürfen. Aber auch hier lauert Erkenntnisgewinn, nicht nur über uns selber. Ein Spiel mag uns in fremde Welten führen, örtlich und menschlich. Auch hier muss unser Geist offen sein, hier gibt es zu verstehen. Sei es über Gemeinschaft, sei es sogar über Kultur. Wo immer wir Fremdem offen begegnen, können wir für die Gesellschaft tätig sein. Und wenn es beim Fußball ist.

“Times of great idealism carry equal chances for greater corruptibility.”

„I refuse to abuse what is kind to the muse, but it’s there and it’s happening to me along the way.”

“The world is crazy, spinning out of control, got to get together, cause it’s taking a toll. It’s getting uglier every day.“

Die sozialen und auch die traditionellen Medien sind eine einzige Weltverzweiflungsmaschine, Windmühlen des Weltschmerzes, angetrieben von zwanghaftem Furor und pathologischer Hysterie. Uns geht es in dieser Welt vermutlich nicht besser, oder schlechter, als sonst auch, aber es wirkt so auf uns. Die vermeintlichen Informationen, die in Echtzeit auf uns hereinprasseln, werden verstärkt, meist negativ, sei es durch zustimmende Übertreibung oder herablassenden Überlegenheitsdünkel. Und so wird unsere Wahrnehmung immer hässlicher, solange wir uns nicht entkoppeln können. Unsere Lust an der Dekonstruktion von Details ist ein Fluch. Es fehlt der Blick aufs große Ganze. Und wir machen uns kaputt.

 

“Why does a missile look like a cock, why is the world so fucked up?“

Wir sind kaputt.

„Die Welt ist zu einer Krankheit geworden.“

Wir sind befallen.

Wir sind Ödipus. Egal wie kritisch wir uns mit den Ursachen der Pest auseinandersetzen, wie sehr wir dagegen sind und wie schön wir dies in einem einfachen Hauptsatz formuliert kriegen: Wir sind es selbst!“

Wir sind Patient Zero.

„Auf einen Totenacker hat sie ihr Weg geführt.“

Wir sind am Ende.

 

“Was liffe worth leaving?”



Ich habe diesen Text für das Arbeitsbuch “Mnemosyne” des Künstlers Michael Grossmann verfasst. Mehr zum Projekt “Mnemosyne” und zu anderen aktuellen Arbeiten gibt es auf seinem Blog “Saengers Phall – work in progress”.

Zitaturheber (in order of appearance):
Bad Religion, Thomas Pynchon, Karl Valentin, Nicolas Stemann, William Gaddis, Ingeborg Bachmann, Thomas Pynchon, Bad Religion, Heiner Müller, Julian Barnes, Elfriede Jelinek, Oskar Maria Graf, Thomas Pynchon, Karl Valentin, Fritz J. Raddatz, Karl Valentin, The Rutles, Jean-Luc Godard, Unbekannter Schweizer, Monty Python, Thomas Pynchon, Bad Religion, Redd Kross, Redd Kross, Ingeborg Bachmann, Nicolas Stemann, Elfriede Jelinek, James Joyce

Danke, Mama! – 30 Jahre Stadion

Meiner eigenen händisch geführten Datenbank nach habe ich bis heute 281 Fußballspiele in 13 verschiedenen Ländern besucht. Wenn ich jetzt so darüber nachdenke, ist das gar nicht mal so wenig und es werden wohl noch einige Spiele und Länder hinzukommen. Das hätte ich mir sicherlich nicht erträumt, als ich zum ersten Mal ein Fußballspiel im Stadion besucht habe, und zwar heute vor 30 Jahren.

Irgendwo fängt jede Geschichte an, und die Geschichte von meinen Stadionbesuchen beginnt am 20. September 1986. An diesem Tag war ich zum ersten Mal im Stadion bei einem Fußballspiel. Es war die Partie des 7. Spieltags der Saison 1986/87 und es standen sich mein Herzensverein FC Bayern München und Borussia Mönchengladbach im Münchner Olympiastadion gegenüber. Der FC Bayern war Tabellenführer und es galt, den Platz an der Sonne zu verteidigen.

An dieser Stelle muss ich gestehen, dass ich jetzt nicht behaupten kann, ich wüsste alles noch so, als sei es gestern gewesen. Ich erinnere mich durchaus an den Tag, aber ich glaube eher so an das Gefühl, als an jedes einzelne Detail. Und einiges habe ich mir auch unter Zuhilfenahme der Fotos aus dem dankbarerweise gut bestückten und organisierten Familienalbum zusammengereimt oder wieder zurückgeholt.

Ausführlich Details zum Spiel gibt es im Archiv des Kicker und bei Fussballdaten.de.

Aber zurück zur meiner Geschichte. Also, nachdem ich am Vormittag noch selbst ein E-Jugendspiel für den Kissinger SC absolviert hatte, fuhren wir mit der Familienkutsche nach München, holten meinen 2 1/2 Jahre älteren Cousin ab und fuhren zum Olympiapark München. Das Auto hatten wir dort auf einem der Parkplätze abgestellt.

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Das Zeltdach über dem Olympiapark und den Olympiaturm hatte ich noch jedes Mal bewundert, wenn auf dem Mittleren Ring daran vorbeigefahren waren, jedoch war es ein tolles Gefühl, nun mit dem Wissen daraufzuzugehen, dieses Mal das Herzstück des Ensembles betreten zu dürfen, das Olympiastadion. Meine Mutter hatte Karten für die Haupttribüne besorgt, die auch damals schon nicht billig waren, aber wenn wir schon einmal da waren, dann gönnten wir uns das natürlich auch. Und dann waren wir drin.

Man kann sehr gut erkennen, dass ich den Anpfiff mit einer Mischung aus Anspannung und Vorfreude erwartete. Trikot hatte ich noch keins, denn diese waren damals einerseits gar nicht so leicht aufzutreiben, soweit ich weiß, eigentlich nur an den mobilen Verkaufsständen um das Stadion herum, und andererseits auch nicht billig, glaube ich. Aber im darauffolgenden Jahre 1987 feierten wir meinen Geburtstag im Olympiapark und da bekam ich dann auch mein erstes Bayerntrikot geschenkt.

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Aber vor dem Spiel mussten sich die Spieler natürlich erst einmal aufwärmen. Ich habe, ehrlich gesagt, keine Ahnung mehr, warum dieser Corso von BMWs auf der Tartanbahn kreiste, aber das war ja irgendwie auch egal. Von unseren Plätzen konnte man sehr gut auf die Südkurve sehen, wo sich seit jeher die treuesten und lautstärksten Fans des FC Bayern versammelten und ihre Mannschaft unterstützten. Es sollte aber noch einmal fast 5 Jahre dauern, bis ich dort einmal wiederfinden würde.

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Beim Einlauf der Mannschaften wurde die Fahnen kräftig geschwenkt und die innere Anspannung stieg enorm. Kapitän Klaus Augenthaler führte die Mannschaft aufs Feld, unter anderem mit meinem damaligen Lieblingsspieler und Helden Lothar Matthäus in der Startelf. Soweit ich mich erinnern kann, gab es damals unter uns fußballbegeisterten Jungs zwei Schulen, was zentrale Mittelfeldspieler. Entweder man vergötterte das Genie des Diego Armando Maradona oder die Dynamik und Wucht des Lothar Matthäus. Bei mir war es letzterer und das ging soweit, dass ich auch so einen Vokuhila haben wollte wie er, und dass mir meine Mutter mal aus einem weißen Adidas T-Shirt mithilfe eines aufgebügelten DFB-Wappens und einer selbst aus Filz ausgeschnittenen Rückennummer 8 mein eigenes Lothar-Matthäus-Trikot gebastelt hatte.

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Die gesamte Aufstellung kann mal auf der Anzeigetafel im Foto unten sehen, aber der Einfachheit halber hier noch einmal ausgeschrieben:

1 Pfaff, 2 Nachtweih, 3 Pflügler, 4 Eder, 5 Augenthaler, 6 Brehme, 7 Wohlfahrt, 8 Matthäus, 9 (Dieter) Hoeneß, 10 (Michael) Rummenigge, 11 Mathy

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Zwei Spielszenen aus der ersten Halbzeit, als die Bayern auf das Tor auf unserer Seite spielten. Wir saßen direkt auf der Verlängerung der Torauslinie. Michael, der “andere” Rummenigge, tritt den Eckstoß rein. Im anderen Foto schlägt Andreas Brehme eine Flanke in den Strafraum. Man sieht, dass das Olympiastadion sehr gut gefüllt war, was damals beileibe keine Selbstverständlichkeit war. Ich war von der Kulisse angemessen beeindruckt.

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An was ich mich noch erinnern kann, war, dass Mittelstürmer Dieter Hoeneß nach einem Kopfballduell im Mittelfeld liegen blieb und behandelt werden musste. Nach einigen sorgenvollen Minuten wurde er gegen Hansi Dorfner ausgewechselt. Aus der Zeitung später erfuhren wir die Diagnose Jochbeinbruch.

Das Spiel ging natürlich weiter. Und dann war der FC Bayern doch noch gegen Ende der ersten Halbzeit durch ein Kopfballtor von Abwehrspieler Hansi Pflügler (45.) nach einer Ecke von Norbert Nachtweih mit 1:0 in Führung gegangen und so ging es einigermaßen guter Dinge in die Halbzeitpause.

Der FC Bayern blieb nach der Pause am Drücker und erhöhte durch einen Doppelschlag von Lothar Matthäus nach einem dynamischen Solo (55.) und Roland Wohlfarth per Kopf nach einer Ecke (58.) auf 3:0. Im Prinzip war das Spiel damit gelaufen, auch wenn Uwe Rahn (68.) noch einmal verkürzte, nachdem er mutterseelen allein auf das Bayerntor zugelaufen war. Kurioserweise erinnere ich mich sehr gut an Uwe Rahn damals, sein weißblondes Haar war kaum zu übersehen, ebenso wie seine Dynamik auf dem Platz. Ich konnte allerdings nicht ahnen, dass er am Ende der Saison Torschützenkönig und Deutschlands Fußballer des Jahres werden würde.

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Bei diesem Foto aus der zweiten Halbzeit weiß ich noch ganz genau, dass ich meine Mutter darum gebeten hatte, ein Foto von Bayerntowwart Jean-Marie Pfaff in Aktion zu machen, den fand ich nämlich total super. Und auch in dieser Szene hält er seinen Kasten sauber.

Und weil das Internet ja manchmal doch ganz nützlich ist, hier ist der Spielbericht aus der Sportschau, den jemand freundlicherweise auf YouTube gestellt hat, auch wenn er sich bei der Betitelung im Endergebnis geirrt hat.

Ich war natürlich überglücklich, ein torreiches Spiel und einen Bayernsieg gesehen zu haben. Das Wetter war fantastisch, das Stadion proppenvoll und die Stimmung wunderbar.

An diesem Tag hatte ich mich nun also noch mehr in den Fußball verliebt, in das Stadionerlebnis. Eine Liebe, die seit nunmehr 30 Jahren besteht und immer weitergeht; sollte nichts dazwischen kommen, gehe ich heute abend zum Heimspiel der Bayern München Amateure gegen die SpVgg Unterhaching in der Hermann-Gerland Kampfbahn.

Vor allem aber hatte ich mich an diesem in das Olympiastadion verliebt. Nicht nur in das ikonische Zeltdach, sondern auch weil es auf ewig der Ort meines ersten Stadionerlebnisses sein wird. Und auch wenn die Arena in Fröttmaning auf vielerlei Weise ein reineres Fußballstadion und in der Logistik durchdachter und praktischer ist, so kann es mir niemals diese Emotionen und Erinnerungen geben, die mir das Olympiastadion gibt. Diese kommen immer hoch, wenn ich dort bin. Heutzutage ist man das ja leider nur zu Konzerte oder solchen Veranstaltungen. Aber dann spüre ich es in meinem Herzen. “Da sind wir damals gegen Gladbach gesesssen, oder hier gegen Uerdingen 1989, oder die Meisterfeier 1987 mit dem dem Abschied von Udo Lattek.”

Und dafür muss ich mich vor allem einem Menschen bedanken: meiner Mama. Sie hat es damals auf sich genommen, uns dorthin zu bringen und sie hat auch mit ihrer Nikon-Spiegelreflex diese tollen Bilder geschossen, so dass ich hier heute in den Erinnerungen schwelgen kann. Und dafür ganz einfach nur:

Danke, Mama!

Epilog: Das nächste Mal, dass ich mit meiner Mama ein Fußballspiel im Stadion besuchen sollte, war passenderweise fast genau auf den Tag 23 Jahre später am 19. September 2009 beim 2:1 Sieg des FC Bayern München gegen den 1. FC Nürnberg, als ich sie in die Allianz Arena mitnahm.

 

Sonntags aus der Sommerpause: OPENart 2016

Die Sommerpause ist nicht nur in diversen europäischen Fußballligen vorbei, auch der Münchner Kunstbetrieb räkelt sich nicht mehr in der Sonne und läutet den Kunstherbst ein. Fast schon traditionell markiert das Wochenende der OPENart den Startschuss dafür. Freitagabend von 18-21 Uhr sind die Openings und dann haben die teilnehmenden Galerien und Institutionen Samstag und Sonntag von 11-18 Uhr geöffnet.

Meine OPENart begann schon am Mittwoch abends, da ein die Braun-Falco-Galerie zu einem Preview von “Felix Weinold – JUNGLE” (bis 30.10.) geladen hatte. Ich habe selber ein Werk von Felix Weinold daheim und hatte ihn auch im Januar zusammen mit dem Galeristen in seinem Atelier in Augsburg besucht. Seine aktuellen malerischen Arbeiten, die auf Pflanzen und Geflechten basieren, teilweise bis zur Abstraktion, fand ich ziemlich gut; jedoch nicht so gut, wie die aus der vorherigen Ausstellung in der Galerie, “Diebstahl verpflichtet II: Pure Beauty” im Jahre 2014, aus der ich eben das oben erwähnte Werk erworben hatte; dennoch ein lustiger Abend, an dem ich mich mit dem Künstler und Freundinnen von ihm verschwätzt habe und mich erst nach 22 Uhr auf den Heimweg machte.

Nachdem ich Freitag und Samstag wegen anderen Terminen verhindert war, machte ich mich also am vergangenen Sonntag bei wunderschönstem spätsommerlichem Wetter auf, um die OPENart zu erkunden.

Weil ich ja eh öfters mal dort bin, begann ich bei der Galerie Klüser, erst im Stammhaus in der Georgenstraße, dann in der Dependance in der Türkenstraße. Die Gruppenausstellung “just black and white” (bis 1.10.) erstreckt sich über beide Galerien und wurde eigentlich bereits im Juni eröffnet, ich war aber noch nicht drin gewesen. Der Titel sagt es, es geht nur um Werke in Schwarz und/oder Weiß. Bei der Betrachtung treten Form und Konzept mehr in den Vordergrund, da der Besucher nicht von Farben abgelenkt oder irritiert wird. Spannendes Konzept, welches aufgeht. Ich fand es auch cool, einfach zu raten, von welchem Künstler nun welches Werk sein mochte, bevor ich die Begleitmappe und Preisliste in die Hand nahm. Einiges habe ich doch erkannt. Am eindrücklichsten fand ich “Matt Black” von Anish Kapoor und “Nebukadnezar” von Gregor Hildebrandt.

Dann von der Türkenstraße kurz rechts in die Theresienstraße gebogen und spontan zu Knust x Kunz, wo der Frankfurter Künstler Naneci Yurdagül unter dem Titel “hier müsste wohl neuer Titel hin” (bis 15.10.) ausstellte. Er setzt sich mit dem Islam bzw. dem arabischen Kulturraum auseinander und ich fand einige seiner Werke durchaus interessant, v.a. die Serie leerer Rahmen mit Pins, die sich mit dem Leben des Propheten Mohammed befasste. Ich schaue sicher nochmal rein, ist ja um die Ecke.

Dann einfach zwei Häuser weiter in den Hof und zum nächsten planmäßigen Ziel in die Barbara Gross Galerie rein. Diese stellte gerade die Münchner Künstlerin Michaela Melían (bis 22.10.) aus, deren Soloaustellung “Electric Ladyland” im Kunstbau des Lenbachhauses ich unlängst auch besucht hatte. Die Künstlerin ist auch ausgebildete Musikerin und ihr gekonnter Einsatz aller möglicher künstlerischen Ausdrucksformer, von Zeichnung und Graphik, über Malerei und Skulptur, bis hin zu Musik und Video, ist interessant und hat auch die intellektuelle Tiefe, die ich persönlich mir von Kunst erhoffe. Diese Ausstellung in der Galerie erstreckt sich von den späten 80er Jahren bis hin zu aktuellen Arbeiten zu “Eletric Ladyland”, mit ihren utopischen Zeichnungen, die wie eine Hommage an Metropolis von Fritz Lang wirken. Auch die selbstentworfenen Briefmarkenbögen mit frühen Zeichnungen fand ich einfach witzig.

Hofeingang

Dann einmal links und wieder rechts weiter die Türkenstraße rauf, spontan durch den obigen kuriosen Hofeingang in der Architekturgalerie rein. Hier stellte Rainer Viertlböck seine Fotoarbeiten zum “Oktoberfest”  (bis 20.9.) aus. Auch sind ein paar Modelle von Achterbahnen aus dem Ingenierbüro Stengel zu sehen, die u.a. den Fünferlooping auf der Wiesn entworfen haben. Am meisten beeindruckt haben mich die Aufnahmen der leeren Zelte. Diese Symmetrie, diese Ruhe. Nichts, aber auch nichts, weist auf das Gewusel, Getümmel und Gelage hin, was dort vorherrscht.

Dann wieder ein planmäßiges Ziel angesteuert, die Galerie Thomas und Galerie Thomas Modern, die sich die großzügigen Räumlichkeiten teilen und wo zweitere eine Ausgründung ersterer ist, nicht unähnlich zu Klüser. Zuerst habe ich mir die “Peter Halley – SAW”(bis 5.11.) angeschaut, mir war das Oeuvre aber zu neon, also grell in den Farben. Nicht so mein Ding. Dann noch den einen Raum “Figur” (bis 15.10.) mit Werken der klassischen Moderne und des deutschen Expressionismus. Die eine Lithographie von Otto Dix war sogar halbwegs erschwinglich. Einen Dix für die Sammlung? Hmm.

Dann etwas am Altstadtring entlang, über die Ludwigstraße und den Odeonsplatz, wo gerade das Streetlife-Festival stattfand, in die Maximilianstraße rein. Dort war mein erster Stopp die  Galerie Fred Jahn, wo Friedrich G. Scheuer (bis 8.10.), ein in Oberbayern verwurzelter Künstler, ausgestellt wurde. Er arbeitet eher abstrakt mit einer reichen Farbpalette, wobei ich persönlich immer das Gefühl hatte, die Farbenvielflt stünden seiner Komposition und deren Formen im Weg. Macht sich bestimmt gut an der Wand, aber halt nicht an meiner.

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Dann ging es an den Blumen des Bösen vorbei hinab ins Maximiliansforum, wo derzeit eine Serie von Hommagen in vier Teilen an das richtungsweisende Environment “zeige deine Wunde” von Joseph Beuys stattfindet, das an dieser Stelle erstmals von den Galerie Schellmann-Klüser (Klüser? Genau, der Klüser von oben.) der Öffentlichkeit präsentiert und später vom Lenbachhaus angekauft wurde. Zur Zeit läuft “zeige deine Wunde 2016 / Teil 2 – Das Environment” (bis 25.9.), wo die Künstlerinnen Heidi Mühlschlegel mit “Freibad Brotland” und Gözde Ilkin mit “Stained Estate I-III” jeweils eine installative Arbeit in den gegenüberliegenden Räumen gestaltet haben. Ich glaube, von Heidi Mühlschlegel hat mir die degenerierte Bundesadlerskulpturcollage “Brotland” am besten gefallen. Und die Videoinstallation “Stained Estate I-III” von Gözde Ilkin über die Zerstörung urbaner Strukturen in Istanbul macht betroffen.

Auf der anderen Seite wieder aus der Unterführung wieder aufgetaucht, ging es auf der Maximilianstraße weiter auf das Maximilianeum zu, doch anstatt die Isar zu queren, bog ich links an der Ecke ins Kunstfoyer der Versicherungskammer Bayern (bis 11.9.), wo die Ausstellung “Werner Bischof – Standpunkt” gerade ihren letzten Tag hatte. Der ausgebildete Schweizer Kunstfotograf wurde u.a. für seine Bilder bekannt, in denen er das Nachkriegseuropa in den Jahren 1945-1951 dokumentierte, bevor er dann als Magnum-Fotograf in den Jahren bis zu seinem allzufrühen Tod im Jahre 1954 Asien und Nord- und Südamerika bereiste und dokumentierte. Die Bilder vom Nachkriegselend wirken in großen Teilen aktuell wie nie, und es scheint schier unfassbar, wie 70 Jahre danach die Nachfahren in diesen Ländern dieses verdrängt haben. Die Bilder von Geflüchteten in Camps und an Grenzen heute ähneln diesen so sehr. Dieses Bild vom Berliner Reichstag 1946 fand ich unglaublich stark in seiner Symbolik. Mein Lieblingsbild aber war “Iglesias, Sardinien, Italien, 1950”:

Iglesias, Sardinien, Italien, 1951

Danach flanierte ich wieder die Maximilianstraße in Richtung Stadtmitte und so langsam machte sich auch Hunger bemerkbar. Am Max-Joseph-Platz sinnierte ich kurz über zwei Kulturinstitutionen, die noch in der Sommerpause waren.

Zurück zum Magenknurren. Es war nämlich gut, dass der Lanne auf dem Streetlife am Stand der Biometzgerei Pichler direkt vor der Feldherrnhalle grillte, wo ich mir dann a Käskrainer in der Semmel gönnte.

So gestärkt machte ich mich dann wieder auf den Rückweg die Ludwigstraße rauf und bog spontan in die  Galerie Sabine Knust, wo eine Ausstellung über Fotografien aus dem Umfeld des “Black Mountain College” (bis 22.10.) lief, das u.a. durch die dortige Lehrtätigkeit von Josef Albers bekannt wurde, mehr dazu hier. Bevor ich mich umschauen konnte, begrüßte mich eine mir über einen Künstlerfreund bekannte Galeristin, die eben diesen Freund vertritt. Da sie eigentlich in Hauzenberg in Niederbayern tätig ist, war das eine nette Überraschung mit einem freundlichen Schwätzchen. Die hauptsächlich schwarz-weißen Fotos sind sehr unterschiedlich, je nach dem Künstler, aber manche, die sehr abstrakt waren, wirkten fast wie Graphik, fand ich spannend.

Dann ging es zum letzten geplant Stopp bei mir um die Ecke, der Walter Storms Galerie, was sich als ebenso spannend wie passend rausstellte. Dort wurden Cordy Ryman (bis 22.10.) und Rainer Leist mit seinem Fotoprojekt “Window” (bis 22.10.) ausgestellt. Cory Rymans Arbeiten, in denen er Holz, v.a. als Baumaterial verwendetes, bemalt, fand ich ganz in Ordnung, die Dreidimensionalität hatte schon was, aber hat mich jetzt auch nicht umgehauen. Rainer Leists “Window” hingegen hat mich auf den zweiten Blick extrem fasziniert. Seit März 1995 fotografiert er denselben Blick aus seinem Apartment in Manhattan mit derselben Kamera. Es ist sehr spannend zu sehen, wie das Wetter und das Licht Einfluß auf ein und dieselbe Szenerie nehmen (einfach mal die Bilder hier durchklicken). Was mich aber just an diesem Tag besonders berührte, war, dass unter den berühmten Gebäuden, die zu sehen waren, in der Ferne das World Trade Center deutlich zu sehen war. Und so dokumentierte diese Fotoserie zufällig eine einschneidende Veränderung in der Skyline, der amerikanischen Gesellschaft und Geschichte. Auf den Tag genau 15 Jahre danach stand ich vor diesem Werk. Ich glaube, ich gehe noch einmal rüber und schaue mir das nochmal so richtig in Ruhe an. Ich war ja nun schon fast vier Stunden unterwegs gewesen.

Und so kam fast rechtzeitig zum Anpfiff des Spiels vom FC Augsburg bei Werder Bremen heim und ruhte mich dann vor dem Fernseher aus. Und zu meiner Freude gewannen meine Augsburger auch noch mit 2:1.

Die Sommerpause ist wohl vorbei.

 

Der ineffizienteste Cooldown

Ich hatte die Probe fertig poliert und schritt mit Laborbuch und Probenbehälter durch die Flure des LRSM. Schließlich wollten wir ja die PPMS möglichst bald runterkühlen und meine Meßreihe beginnen. Mein letztes Jahr im College hatte gerade begonnen und diese Messungen sollten die Basis für meine freiwillige Senior Honors Thesis legen.

Als ich am Sekretariat vorbeikam, wunderte ich mich, warum so viele Leute vormittags denn einen Film auf einem Fernseher guckten. Und dann noch irgend so einen Katastrophenfilm. Mussten die nicht auch arbeiten wie ich? Nach dem ich schon ein paar Schritte am Sekretariat vorbei war, hielt ich inne. Komisch. Vielleicht mal nachschauen, warum alle da rumstanden. Also stellte ich mich in den Türrahmen und blickte genauer auf den Fernseher. Das war kein Film. Das waren Nachrichten. Live.

Keine Ahnung, wie lange ich im Türrahmen stand. Irgendwann hatte ich Walnut Street wieder überquert und war zurück in unserem Labor in DRL. Probe und Laborbuch abgelegt, sofort rauf zum Büro von Jay. Er wusste es auch schon und war frenetisch damit beschäftigt, seine Freunde in New York telefonisch zu erreichen. Er war in der Nähe aufgewachsen.

Ich ging zurück in unser kleines Büro und setzte mich an den Rechner. Zeit vertreiben, eventuell etwas rausfinden. Das Internet funktionierte eher leidlich. Irgendwann kam Jay runter. Was machen wir jetzt? Erstmal etwas zu Mittag essen, irgendwie im Kopf klar werden. Steve, der Doktorand, hatte nach dem wirklich anstregenden Sommer im Labor eine Woche frei, also waren es nur Jay und ich. Wir saßen am Tisch bei den Food Trucks und diskutierten. Was war sicher? Das vierte Flugzeug über Pennsylvania. War Philly das Ziel? In einen Zug steigen und aufs Land rausfahren? Oder weitermachen?

Zurück im Labor. PPMS runterkühlen. NPR hören. Fragen über Fragen. Keine Antworten. Gegenseitige Ermahnungen zur Geduld. Es würde Wochen oder Monate dauern, bis wir Antworten auf diese Fragen kriegen, hörte ich mich sagen.

Nie zuvor und danach nie wieder haben wir so viel flüssiges Helium verbraucht, um die PPMS runterzukühlen, wie an diesem Tag.

Es war der ineffizienteste Cooldown.

#12von12 im Juni: The Hangover

Am Vorabend des 12. Juni war ich auf der Hochzeit eines Freundes in Iffeldorf am südlichen Ende der Osterseen, die gleichermaßen feucht wie fröhlich begangen wurde. Die letzte Gruppe von uns Feierbiestern war erst in der Morgendämmerung zu Bett gegangen. Beim Erwachen im Hotelzimmer im Landgasthof Osterseen schlaf- und anderweitig trunken recht spontan entschieden, mal wieder bei #12von12 mitzumachen.

First things first: Hat jemand die Nummer von dem Lastwagen gesehen, der mir gestern durch den Schädel gefahren ist?

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Kurz geduscht, frisch gemacht und ran ans Frühstücksbuffet. Ein herzhaftes Katerfrühstück aus Rührei, Salami-Käse-Semmel und Cappuccino zu mir genommen.

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Auf der Terrasse des Hotelrestaurants gab es den selben schönen Blick auf die Osterseen, der mich am Vortag auch schon erfreut hatte.

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Dankenswerterweise konnte ich auf dem Rücksitz mit zurück nach München fahren, ich befand definitiv nicht in einem Zustand, um ein Kraftfahrzeug zu bedienen; dass ich sowieso keins besitze, sei hier mal außen vor gelassen.

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Daheim. Was von der Hochzeit übrig blieb.

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Dann erstmal kurz zu einem Nickerchen hingelegt und liegengeblieben, um mir mein erstes Spiel bei der Europameisterschaft anzuschauen. Kroatien schlug die für mich unerwartet schwache Türkei mit 1:0.

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Nach Spielende bin ich kurz vor die Haustür und habe mich auf einen Spaziergang quer durchs Museumsareal begeben. Wie eigentlich fast immer führte dieser quer über die Wiese hinter der Alten Pinakothek.

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Mein Ziel war die Packstation an der TU Mensa, wo seit gestern das neue festivaltaugliche Zelt für Wacken auf mich wartete.

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Dann ein bisschen aufgeräumt und mich mit einem vorläufigen Abendessen aus Chips mit Kräutergeschmack und einem Drunken Sailor von Crew Republic im Sessel niedergelassen, um das Spiel zwischen den deutschen Gruppengegner Polen und Nordirland zu schauen, das die favorisieten Polen knapp, aber hochverdient mit 1:0 gewannen. Leider wurde der vielbesungene Will Griggs nicht eingewechselt.

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Danach kurz den Sender und die Sportart gewechselt, um mir den Anfang des Formel 1 Grand Prix im kanadischen Montreal anzuschauen. Ich war bereits für das Spiel des Marketingskonstrukts des Deutschen Fußballbundes gegen die Ukraine eingekleidet. Kein Fußball den Faschisten!

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Dann habe ich mich mal kurz auf den Balkon rausbegeben. Der Abendhimmel über dem Univiertel war mal wieder a Schau. Ich habe mich nach sieben Jahren in dieser Wohnung nicht an diesem Ausblick sattgesehen und werde es wohl auch nie; er überrascht mich immer wieder neu.

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Dann in charmanter Gesellschaft das 2:0 des DFB-Marketingkonstrukts über die Ukraine gesehen, begleitet von starker Müdigkeit. What a tangled web Boateng weaves! Fast sofort danach eingeschlafen.

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Weniger amateurhafte Implementationen von #12von12 als meine hier gibt es wie immer bei Draußen nur Kännchen!.

#12von12 im April, oder: Dresden Day(s).

Nach meinem Debüt im März hat es mir auch im April gut reingepasst, wieder bei #12von12 mitzumachen.

Zu Tagesbeginn wurde ich beim Aufwachen zuhause ein wenig davon überrascht, dass es regnete, aber immerhin zeichnete sich beim Blick aus dem Dachfenster ein güldener Streif am Horizont ab. Da mich auch seit dem Frühlingseinbruch in der vorigen Woche die Histamine fest in ihren Klauen, war auch der Regen im übertragenen Sinne ein güldener Streif am Heuschnupfenhorizont.

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Nachdem ich mich frisch gemacht hatte, ging es zur Boulangerie Dompierre um die Ecke, um Reiseproviant zu erstehen, es wurde ein Brioche mit Rosinen und ein halbes Classique mit Rillette de Canard. Nachdem das Ladengeschäft, in dem sich die Filiale befindet, in den vorigen Jahren eher durch wechselnde Pächter und mehr schlecht als recht funktionierende Konzepte (drölfzigste Bäckerei, Sandwichladen, Cafe) hevorgetan hatte, ist mit der Boulangerie Dompierre willkommene Qualität und Konstanz eingekehrt.

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Dann ging es mit der Tram zum Stachus, und zu Fuß geschwind zum Hauptbahnhof, um die Reise nach Dresden zu beginnen. Die Reise ist privater Natur, mein Künstlerfreund Michael aus München, veranstaltet dort am heutigen Mittwoch eine von ihm konzipierte konzertante Lesung, in der er zusammen mit neuer Musik der Komponisten Reiko Füting und Nikolaus Brass abermals die Geschichte “Caliban über Setebos” von Arno Schmidt bearbeitet. Diese ist bereits die dritte Entwicklungsstufe von “Saengers Phall” nach München im September 2014 und New York im Oktober 2015 und ich finde es ein sehr spannendes Projekt. Also nahm ich dies zum Anlass, mir auch einmal Dresden anzuschauen, da ich noch nie dort gewesen war. Von Gleis 15 fuhren wir ab.

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Auf der Zugfahrt hatte ich mit meinen Mitreisenden im Ruhebereich Glück und ich konnte meine Lektüre von James Joyces “Finnegans Wake” fortsetzen. Dabei stieß ich im Kapitel II.1 auf folgenden phänomenalen Satz: “Was liffe worth leaving?” Es ist unfassbar, wie man mit vier Worten soviel Klang und Bedeutung erzeugen kann. Ich war wie weggeblasen. Life, the River Liffey and Everything.

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Die Zugfahrt bis zum Umstieg in Leipzig verlief pünktlich und ereignislos und ich wurde dort auch von der Sonne begrüßt. Leider verließen wir Leipzig mit einer Verspätung von 25 Minuten, da es wohl einen Böschungsbrand an der Zugstrecke gegeben hatte, der erst noch gelöscht werden musste.

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Mit besagten 25 Minuten Verspätung traf ich dann am Dresdner Hauptbahnhof ein, über dem auch die Sonne lachte, was den viertelstündigen Fußweg zur Herberge sicherlich erleichterte. Wobei diese Fußgängerzone mit den aneinandergereihten Einkaufsketten jetzt nicht der Stadtplanerweisheit letzter Schluß sein muss.

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Nachdem ich in meinem altstadtnahen Hotel eingecheckt hatte, beschloß ich eine erste Runde Besichtigungen anzugehen und brach zu Fuß auf. Zuerst ging es um die Ecke zur Kreuzkirche, die von außen noch in altem barocken Glanz, äh, erstrahlt, innen aber schlicht ist. Von größerem Interesse waren für mich die knappen Informationstafel zu ihrere Geschichte, vor allem die des Dresdner Kreuzchors, hatte doch der heutige Mann meiner Cousine einst dort gesungen. Nicht nur das, meine Mutter hatte bereits bei ihrem Besuch in Dresden entdeckt, dass er auf dem Beispielbild auf ebenjenen Informationstafeln zufälligerweise zu sehen ist, und auch ich habe sein Knabenkonterfei schnell entdeckt.

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Dann ging es weiter zur Frauenkirche, deren fürs Barock eher schlicht ausgestatteter Bau durchaus zu gefallen weiß, aber natürlich jemanden, der aus dem katholischen Bayern kommt und zudem erst unlängst die barocken Wunder von Rom begutachten konnte, nicht wirklich überwältigt. Aber kleidsam fürs Stadtbild ist sie allemal.

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Danach spazierte ich über die Bährsche Terrasse, den Theaterplatz und den Postplatz zurück zu meinem Hotel und kaufte im angeschlossenen Einkaufszentrum noch etwas Zimmerproviant ein. Dabei gelang es mir, im ersten Anlauf knallhart am anvisierten Discounter vorbeizulaufen, weil ich wie selbstverständlich nach dem Logo von dessen südlichen Pendant Ausschau gehalten hatte. Dann kurz ausgeruht, mit etwas Brotzeit gestärkt und auf ins Abendprogramm. Leider wurde in der Semperoper an diesem Abend nichts gegeben, aber ich wollte ihr dennoch einen kleinen Besuch abstatten.

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No Oper, no cry, und so hatte ich mir im Vorfeld eine Karte fürs Staatsschauspiel besorgt, um dort dem notorischen Prinzen von Dänemark meine Aufmerksamkeit zu schenken.

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Zur Pause war ich mir noch nicht sicher, was ich von der Inszenierung halten sollte; an sich fand ich die Idee eines Tributekonzerts mit der Band des Hauptdarstellers als Stück im Stück ziemlich clever, war mir aber nicht sicher, ob das Stück nicht in der Auflösung auseinanderkippen würde. Aber über die Pausenaussicht vor der Tür hasch jetzt net maula könna, der Zwingr isch gloi nebadran, woisch.

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Schlußendlich fand ich das Stück gut, aber die Ideen von Regisseur Roger Vontobel stehen und fallen mit der starken Leistung seines Hauptdarstellers Christian Friedel, nicht nur wegen der prominenten Rolle seiner Band. Dabei wurde mir auch wieder bewusst, was für unfassbar starke Ensembles wir zur Zeit an den Münchner Theatern haben. Denn ich ertappte mich während der Vorstellung immer mal wieder dabei, mir vorzustellen, wie es wäre, wäre die eine oder andere Rolle mit einem der mir aus München bekannten Schauspieler besetzt. Dennoch ein gelungener Theaterabend. All dies besprach ich bei einem kleinen Absacker in der Planwirtschaft in der Dresdner Neustadt mit Michael, der sich dort nach einem langen Tag der Proben für “Saengers Phall” an Speis und Trank labte.

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Dann mit der Tram zurück ins Hotel und gschwind ins Bett, denn der heutige Tag steht prallvoll und ganz im Zeichen der kulturellen Erkundung, vom Grüne Gewölbe zu Saengers Phall.

Wer erkunden will, wie die Profis das mit #12von12 machen, schaut am besten bei Draußen nur Kännchen! und der dort beinhalteten Liste nach.